Geheimnisvolles Cofete

20. Januar 2024:

Als heute morgen die Sonne aufging, hatten wir schon die Ahnung, dass es einen schönen Nachmittag geben würde. Nach dem Mittagessen sollte es nach Cofete gehen. Dass es der interessanteste Tag unserer Reise sein wurde, wussten wir erst später.

Geheimnisvolles Cofete

Normalerweise gestalten wir unsere Urlaubstage in eigener Regie. Aber es gibt auf Fuerteventura ein lohnenswertes Ausflugsziel, das auf eigene Faust anzusteuern nicht unbedingt ratsam ist. Es ist das einsam gelegene Dort Cofete an der Nordwestküste der Halbinsel Jandía, nahe dem höchsten Berg Fuerteventuras, dem Pico de la Zarza. Der Ort ist von einigen ärmlichen Hütten und einer massiv gebauten Bar geprägt und lebt von seiner fantastischen Umgebung.

Von einer Straßenverbindung zu reden verbietet sich. Irgendwann geht die asphaltierte Straße in eine Schotterpiste über, die in ihrem weiteren Verlauf immer rauer wird. Ausweichmöglichkeiten gibt es nur wenige, Absicherungen überhaupt keine. „No Cofete“ heißt es in der Regel eindringlich, wenn man auf Fuerteventura einen Leihwagen übernimmt.

Es gibt es eine Busverbindung zwischen Morro Jable und Cofete, die zweimal täglich bedient wird, es sei denn, der Bus befindet sich gerade in Reparatur. Wir haben ihn 2016 schon einmal genutzt. Er wird von den Einheimischen wegen seines hohen Fahrgestells und seiner gedrungenen Form Mondauto genannt.

Mystery Cofete, so titelte unser Reiseveranstalter ein Angebot für einen geführten Ausflug. Dass er damit nicht zu viel versprach, wussten wir.

Abgeholt wurden wir von einem Kleinbus der Marke Renault, der Platz für neun Personen bot. Zwei Passagiere waren schon an Bord, und natürlich unser Tourguide. Weitere Gäste kamen später hinzu.

Unser Guide stellte sich mit seinem Vornamen Christoph vor und erzählte, dass er gebürtiger Pole sei. Er sprach Deutsch mit einem harten polnischen Akzent. Beiläufig bemerkte er, dass er heute Geburtstag habe und 42 Jahre alt geworden sei. Die ganze Fahrt über wurde ich den Gedanken nicht los, das sei ein Marketingtrick, der am Ende mehr Trinkgeld als gewöhnlich in die Kasse spülen würde.

Er redete wie ein Wasserfall, trotz seines sicherlich eingeschränkten Wortschatzes. Aber man konnte sich daran gewöhnen und ihm auch irgendwie folgen. Er habe insgesamt 20 Länder der Welt bereist, glaube aber, jetzt auf Fuerteventura seine Heimat gefunden zu haben. Es stellte sich schnell heraus, dass er mindestens drei Sprachen mehr oder weniger gut beherrschte, Polnisch, Spanisch und Deutsch.

Dass er seiner alten Heimat nicht ganz abgeschworen hat, gab er mehr zufällig zu erkennen. Er fragte uns zu Anfang, wo wir denn in Deutschland wohnten. Unsere Antwort: Unna, nahe Dortmund. Er reagierte mit erkennbarer Begeisterung: „Schwarz-Gelb!“. Dann nannte er drei Fußballernamen, die eng mit der Borussia verbunden sind: Robert Lewandowski, Łukasz Piszczek und Kuba, alles polnische Nationalspieler. Für alle Nichtkenner der Szene: Mit Kuba ist Jakub Błaszczykowski gemeint.

Als eine Mitfahrerin versuchte, ihm den „gefühlten“ Unterschied zwischen den deutschen Begriffen „billig“ und „preiswert“ zu erklären, machte er unzweideutig auf seine begrenzten Deutschkenntnisse aufmerksam. Denken, so Christoph, würde er in Polnisch. Auch Selbstgespräche führe er in dieser Sprache. Er nannte uns einige deutsche Worte, mit denen er phonetisch überhaupt nicht klarkomme, wie zum Beispiel „Eichhörnchen“. Sein Vorname werde in Polen „Tschischtoff“ ausgesprochen.

Christoph hatte uns zuvor darauf aufmerksam gemacht, dass es aktuell in den örtlichen Geschäften deutliche Preisnachlässe gebe, und zwar schon ab dem Feiertag „Heilige Drei Könige“. Dies sei auch der Tag, an dem man auf den kanarischen Inseln die Kinder beschenke, und nicht der Weihnachtstag.

Einmal im Jahr reise er nach Polen, aber seinen „Erholungsurlaub“ verbringe er auf Fuerteventura.

Auf den Kanarischen Inseln gebe es durchaus das Bestreben, sich politisch von Spanien zu lösen. Dabei gehe man aber auf keinen Fall so militant und gewalttätig vor wie in anderen Regionen Spaniens. Er könne diese Bestrebungen verstehen, denn das spanische Mutterland liege weit entfernt und behandele die Kanaren manchmal stiefmütterlich.

Deutsch habe er zu einem Zeitpunkt gelernt, als er noch nicht daran dachte, einmal in der Touristikbranche zu arbeiten. Er habe studiert, in Richtung Politikwissenschaften. Von einem Abschluss sprach er nicht. Zehn Jahre habe er als Koch gearbeitet und dabei sein Körpergewicht auf 113 Kilo hochgeschraubt. Jetzt fühle er sich mit 90 kg wesentlich wohler. Zu verdanken sei das einer zurückhaltenden Lebensweise, einer ausgewogenen Ernährung und dem Volleyballsport. Er lebe allein und wohne nahe dem Meer in Gran Tarajal, nordöstlich von Costa Calma, unserem Urlaubsort.

Autofahren konnte er ausgesprochen gut. Das stellten wir fest, als es über die unbefestigten Straßen nach Cofete ging. Er kannte jeden Stein und jedes Schlagloch, bei je zwei Fahrten an sechs Tagen pro Woche kein Wunder. Zu keinem Zeitpunkt kam bei uns das Gefühl auf, er habe das Fahrzeug, das er Renate nannte, nicht im Griff. Im Kofferraum lägen auf jeden Fall immer zwei Ersatzräder, so Christoph. Auf der Rückfahrt machte er uns auf einen Mietwagen aufmerksam, der augenscheinlich Opfer der Straßenverhältnisse geworden war, nach und nach Öl verlor und dann am Straßenrand liegen blieb.

Renate, das war wohl die Namensversion für deutsche Reisegruppen. Wie Christoph sein Auto nennt, wenn er polnische oder tschechische Gäste begleitet, blieb uns verborgen. Ich hätte ihn ja fragen können.

Er wusste natürlich auch genau, wann es sinnvoll war, einen Stopp einzulegen. Auf der Hinfahrt war dies beispielsweise ein Punkt, von dem man aus einen guten Blick auf Cofete und den Stand hatte und wo man die Kraft des Windes körperlich sehr gut spüren konnte. Auf der Rückfahrt war es eine Stelle, von der aus der Sonnenuntergang erleben konnte.

Wenn er unsere Aufmerksamkeit haben wollte, sprach er uns mit „Familie“ an. Alles in allem merkte man schon, dass er auch Erfahrung in der Animation gesammelt hat. Bis zum Ende des Tages hin vermittelte er uns übrigens das Gefühl, wir seien die aufmerksamste Gruppe aller Zeiten gewesen.

Dass ich mich nicht so bewegen konnte wie die anderen im Bus, hatte er schnell herausgefunden. Er bot mir hin und wieder dezent seine Hilfe an.

Aber jetzt zu dem Ziel unserer Fahrt:

Das Dorf Cofete habe ich schon zu Anfang versucht vorzustellen. Playa Cofete ist bekannt als der schönste Strand auf Fuerteventura. Aber ein Bad im Atlantik ist nicht zu empfehlen. Bis zu 5 m hohe Wellen sind der Normalfall. Es muss leider regelmäßig über Badetote berichtet werden.

Nahe dem Strand liegt ein alter, verlassener Friedhof, der Cementerio del Cofete. Es ist ein verwunschener Ort, ein mystischer Lost Place. Die Natur und der Sand haben sich zurückgeholt, was der Mensch einst der Natur abgetrotzt hat. Aus dem Sand ragen nur noch die Ummauerung und einige wenige Grabkreuze heraus. Nur das Eingangstor zeigt sich so imposant wie eh und je.

Da die Lichtverhältnisse in diesem Jahr nicht so gut waren, möchte ich Euch an dieser Stelle Fotos vom Strand und vom Friedhof zeigen die wir anlässlich unseres Besuches im Jahre 2016 geschossen haben. Außerdem habe ich noch drei schöne Fotos aus dem selben Jahr, die Cofete und die Villa Winter von oben zeigen, gefunden.

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In der Zeit des Dritten Reiches, im Jahr 1936, erbaute der deutsche Ingenieur Gustav Winter die in der Nähe von Cofete Villa Winter. Er sei zuvor, so heißt es, mit einem Koffer voller Geld aufgetaucht und habe nahezu die ganze Halbinsel Jandia gepachtet. Die Bewohner von Cofete mussten ihr Dorf verlassen, ein Teil der Halbinsel wurde zum militärischen Sperrgebiet erklärt. Das ist gesichert bekannt.

Welchen Zweck die Villa Winter letztendlich erfüllte, ist unbekannt. Es gibt nur Gerüchte, die weder bewiesen noch widerlegt werden können. Winter soll Kontakte zu Hitler, Göring und Franco gepflegt haben.

Die gängigen Spekulationen über die Vorhaben des Gustav Winter und die Funktion der Finca sind folgende:

  • Errichtung eines geheimen U-Boot-Hafens, um die militärische Kontrolle des Nordatlantiks zu erleichtern.
  • Vorübergehende Unterbringung von Nazigrößen in Bunkern im Baustil der Organisation Todt, um deren Transport auf den Rattenlinien nach Südamerika vorzubereiten, in der Endphase des Zweiten Weltkrieges und in der frühen Nachkriegszeit.

Dies alles und noch mehr berichtete uns Christoph, offensichtlich getrieben von der Hoffnung, dass sich die Geheimnisse um die Villa Winter einmal auflösen würden. Es war interessant, aber auch unterhaltsam, ihm dabei zuzuhören.

Es folgt der Versuch, Christophs Fragen zusammenzufassen:

  • Warum erinnert der Keller der Villa Winter mit seinen meterdicken Wänden an einen Bunker? Das dafür benötigte Baumaterial an diese entlegene und schwer zugängliche Stelle der Insel zu bringen, war auf jeden Fall äußerst schwierig und erforderte viel Manpower.
  • Warum sehen die kleinen Fenster im Keller wie Schießscharten aus?
  • Wofür war eine Krankenstation gedacht, mangels einer fehlenden Bevölkerung im Umland?
  • Warum versuchte Winter in späteren Jahren, den Zeitpunkt des Baues der Villa zu verschleiern? Er gab 1971, kurz vor seinem Tod, in einem der Illustrierten „Stern“ gegebenen Interview als Erbauungszeitpunkt der Villa das Jahr 1958 an.
  • Wofür war ein etwa 12 km westlich gelegenes Flugfeld gedacht?

Christoph zweifelte auch an der Begründung Winters für die extrem abgelegene Lage der Villa, die sie äußerst schwer erreichbar machte. Der habe behauptet, ein Naturliebhaber zu sein. Auch seine Behauptung, eine Tomatenplantage errichten zu wollen, erscheint Christoph wegen der Unwirtlichkeit der Gegend und des natürlichen Wassermangels zumindest fragwürdig.

Er war der Meinung, dass die Villa Winter militärischen bzw. politischen Zwecken der damaligen Zeit, gleich welcher Art auch immer, gedient haben muss. Die Bandbreite sei groß und reiche einerseits von der militärischen Abwehr bzw. Spionage und andererseits bis hin zur „Verwahrung“ von Menschen, die man heute als queer bezeichnet.

Man könnte Christoph als Verschwörungstheoretiker bezeichnen. Das liegt mir aber fern. Ihn mache es nachdenklich, sagt er, dass der spanische Staat immer noch nicht seine Archive geöffnet habe. Die Anfänge des Baues der Villa Winter lägen ja immerhin fast 90 Jahre zurück.

Unser Resümee: Es war ein schöner Tag, nicht nur wegen des Geburtstagsbieres, zu dem uns Christoph am Strand von Cofete einlud. Unser Trinkgeld viel großzügig aus. Die Frage, ob er tatsächlich Geburtstag hatte, spielte dabei keine Rolle.

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