Raus aus dem „Schneckenhaus“ – Zum Umgang mit Morbus Parkinson

Verfasst im Jahre 2017

Morbus Parkinson, umgangssprachlich auch Schüttelkrankheit genannt, ist eine neurodegenerative Erkrankung. Ganz allgemein bedeutet das den fortschreitenden Verlust von Nervenzellen. Morbus Parkinson betrifft konkret das extrapyramidal-motorische System, oder einfacher gesagt, das für die Steuerung der Bewegungsvorgänge des Menschen zuständige System.

Morbus Parkinson ist vornehmlich gekennzeichnet durch das Absterben der Dopamin erzeugenden Zellen in der Substantia nigra, einer Struktur im Mittelhirn. Dopamin – im Volksmund auch als Glückshormon bezeichnet – überträgt die Befehle des Nervensystems an die Muskulatur. Es ist ein für die Funktion des menschlichen Körpers überaus wichtiger Botenstoff. Die Muskulatur reagiert auf ein Zuwenig an Dopamin ganz unterschiedlich. Aber dazu später.

Morbus Parkinson befällt den Menschen schleichend. Bis zur endgültigen Diagnose vergehen oft Jahre. Diese Jahre sind manchmal durch eine Ärzte-Odyssee gekennzeichnet. „V. a.“ ist ein Kürzel, das viele Erkrankte in dieser Zeit kennen lernen. „V. a.“ steht für „Verdacht auf“. Bei mir sprach man unter anderem von einem „Verdacht auf Morbus Bechterew“.

Bis zum Spätsommer 2014 wusste ich noch nichts von meiner Parkinson-Erkrankung. Ich hatte halt „nur“ Probleme, die mich diesen oder jenem Arzt konsultieren ließen. Einen Schub gab es nach zwei Operationen, die nach einem Sportunfall auf Teneriffa notwendig wurden. Die beiden mit den Operationen verbundenen Vollnarkosen weckten die in mir vor sich hin dämmernde Krankheit. Heute weiß ich, dass beide Narkosen Gift für mich waren, aber es gab auch keine Alternative.

Meine Odyssee nahm dann bei einem Neurologen ihr Ende. Er befragte mich gründlich, schaute sich anschließend meine Bewegungen an und nahm dann einige wenige körperliche Tests vor. Auch er beließ es erst einmal bei einem V. a. = Verdacht auf …. Am Ende gab er mir ein Dopamin-Präparat mit nach Hause. Es war ein Generikum, also ein Nachahmer, des bekannten Medikaments Stalevo, das keinen Patentschutz mehr genießt.

Nach der Einnahme der ersten Pille geschah erstaunliches. Innerhalb einer halben Stunde gehörten meine Füße wieder zu meinem Kopf. Das ist die Kurzfassung dessen, was ich fast von jetzt auf gleich an körperlichen Veränderungen spürte. Für die Langversion bleibt an dieser Stelle kein Raum. Ich berichtete dem Neurologen davon. Zwischen „Tür und Angel“ bekam ich darauf hin meine Diagnose und das notwendige Rezept für die benötigten Medikamente, verbunden mit nur wenigen Handlungsanweisungen. Heute weiß ich, dass insbesondere die altgedienten Neurologen die Meinung vertreten, wer so reagiert, der hat Parkinson.

Irgendwann kam dann doch der Wunsch, eine Zweitmeinung zu hören. Erstaunlicherweise fand ich schnell einen Neurologen, der sich ein klein wenig auf Parkinson spezialisiert hatte. Er empfahl mir den sogenannten DatSCAN. Davon hatte ich immer wieder gelesen oder gehört. Es ist eine nuklearmedizinische Untersuchung, mit der die Funktionsfähigkeit bestimmter Nervenverbindungen in einem bestimmten Hirnareal untersucht werden kann. Die Strahlenexposition ist äußerst gering, aber die Chance auf eine klare Diagnose sehr hoch. Nach wenigen Tagen fand ich sie in meinem E-Mail-Postfach vor: Positiv. Was positiv in der medizinischen Diagnostik bedeutet, muss ich nicht erklären.

Bis zu diesem Tag hatte ich ganz zwiespältige Gefühle. Mich drängte tatsächlich die Frage, was ist, wenn das Untersuchungsergebnis negativ ausfällt, ich also nicht an Parkinson erkrankt bin? Dann finge alles wieder von vorne an, alles wäre wieder unklar. Klarheit hilft manchmal weiter, zumindest mir. Vielleicht kann die eine oder der andere diese seltsam erscheinenden Gedanken nachvollziehen.

Ich bin dann bei diesem Neurologen, der den DATScan veranlasst hat, geblieben. Er scheint die Stellschrauben für eine vernünftige Medikation zu beherrschen, erklärt alles klar und verständlich, hat eine gute Praxisorganisation und nimmt sich Zeit für mich. Ich will mich im Augenblick alle sechs Wochen sehen. Heilen kann er mich nicht, dass weiß ich. Ich nenne auch gerne seinen Namen, wenn ich danach gefragt werde.

2017 – ein Jubiläumsjahr für Parkinsonkranke!? Und warum?

Darf man angesichts einer schwerwiegenden Erkrankung ein solches Wort verwenden? Ich meine ja. Wir feiern nicht die Krankheit, sondern den Mediziner, dem wir es zu verdanken haben, dass sich die Diagnostik und die Behandlungsmöglichkeiten – wenn auch langsam – entwickeln konnten.

Als Erster berichtete nämlich im Jahre 1817 der englische Mediziner James Parkinson über die Krankheit, die heute seinen Namen trägt. In seinem “Essay on the Shaking Palsy“, auf Deutsch „Abhandlung über die Schüttellähmung“, beschrieb er zwei der heute anerkannten Kernsymptome, das Zittern (Tremor) und die Bewegungsarmut (Akinese). Er vermutete für beides eine gemeinsame Ursache im Gehirn und war damit, wie sich später zeigt, auf dem richtigen Weg.

Ein weiteres Kernsymptom der Parkinson-Krankheit, die Muskelstarre (Rigor), beschrieb 50 Jahre später, um 1867, der französische Neurologe Jean-Martin Charcot. Charcot war übrigens 1884 der erste, der den Namen Morbus Parkinson für die Krankheit benutzte, auf Französisch Maladie de Parkinson. Kaum ein an- derer Wissenschaftler des 19. Jahrhunderts hat übrigens die Entwicklung der Neurologie so nachhaltig beeinflusst wie Charcot. Er gilt als Mitbegründer der modernen Neurologie.

Im Jahr 1919 charakterisierte dann ein Doktorand der Universität Paris namens Konstantin Nikolajewitsch Tretiakoff erstmals Morbus Parkinson als eine Erkrankung der Substantia nigra. Den Doktortitel verlieh die Universität Paris dem jungen Mediziner noch im gleichen Jahr. Aber erst gut vierzig Jahre später stellten Forscher den Zusammenhang zwischen der Erkrankung und einem Mangel an Dopamin wissenschaftlich gesichert fest.

Leit- und Begleitsymptome – Parkinson hat viele Gesichter

Lange Zeit prägten die drei Leitsymptome Tremor, Akinese und Rigor das Bild von Morbus Parkinson. Mich plagt übrigens im Wesentlichen der Rigor, die Muskelstarre. Anzeichen der Akinese, also der Bewegungsarmut, beobachte ich ebenfalls an mir.

Zusätzlich ist mittlerweile die verminderte Stabilität beim Aufrechthalten des Körpers als Leitsymptom definiert worden. Kleine, aber schnelle reflektorische Ausgleichsbewegungen des Körpers, die Stellreflexe, laufen verzögert ab, so dass es zu einer Gang- und Standunsicherheit kommt. Diese Unsicherheit begleitet mich ebenfalls schon viele Jahre.

Weitere Begleitsymptome können Schmerzen, Störungen der Darmfunktion, Hautprobleme, Depressionen, Schlafstörungen und im Einzelfall auch Demenz sein. Das eine oder andere davon erfahre ich am eigenen Körper. Für die Ärzte sind das sogenannte nicht-motorische Störungen der Parkinsonkrankheit. Meine Liste ist bei weitem nicht vollständig. Wie ich übrigens bei einem der Treffen aus dem Munde eines anerkannten Fachmanns erfahren habe, haben Tremor-Patienten ein deutlich niedrigeres Risiko, an Demenz zu erkranken, als andere Parkinsonpatienten.

Heute weiß man auch, dass die Akinese, die Bewegungsarmut, verschiedene Erscheinungsformen haben kann. Da ist zunächst das Freezing zu nennen. Der Bewegungsablauf eines Betroffenen blockiert vollständig, und zwar spontan. Eine verkleinerte Handschrift, eine gehemmte Sprech- und Atemmuskulatur, gehemmte Gesichtsmuskeln und Schluckstörungen sind weitere Folgen der Bewegungsarmut. Mittlerweile heißt es daher, Parkinson hat viele Gesichter.

Die Krankheitshäufigkeit wird von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) mit 1 bis 2 Promille der deutschen Bevölkerung beziffert. Bei den über 65-jährigen steigt diese Zahl jedoch deutlich an, nämlich auf 1,8 Prozent. Es gibt sicherlich eine nicht unerhebliche Dunkelziffer. Fest steht, mit der Veränderung der Altersstruktur der Bevölkerung ist in Zukunft mit einer weiter steigenden Zahl an Betroffenen zu rechnen.

Morbus Parkinson ist fortschreitend und nicht heilbar. Die Folge ist es, ein Leben lang Medikamente einnehmen zu müssen. Noch Mitte letzten Jahrhunderts konnten Menschen mit Morbus Parkinson kaum zufriedenstellend behandelt werden. Das hat sich mittlerweile dank der Erforschung der der Erkrankung zugrundeliegenden Mechanismen deutlich geändert, auch wenn die Wissenschaft ehrlich offenbart, je mehr man forsche, umso mehr Fragen habe man.

Eine gezielte medikamentöse Therapie kann die Krankheitssymptome deutlich mildern. Medikamente, die den Dopaminmangel ausgleichen, ermöglichen vielen Erkrankten über eine lange Zeit ein Leben ohne wesentliche Einschränkungen.

Moderate sportliche Aktivitäten, insbesondere solche, die große Muskelgruppen beanspruchen, ergänzen die medikamentöse Therapie. Tatsächlich wirkt sich Sport bei Parkinson-Patienten positiv auf die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit aus. Ob Walking, Wandern, Radfahren, Gymnastik, Pilates, Yoga oder Schwimmen: Erlaubt ist, was Freude bereitet. Wie übrigens einmal ein Mediziner einem ihm befreundeten Parkinson-Patienten sagte: „Auch der Tanz besteht aus repetitiven hochamplitudigen Bewegungen. Nur kann ich dir keine Tanzstunden verordnen. Da bist du schon selbst gefordert.“

Nordic Walking ist für Parkinson-Patienten eine gut geeignete Bewegungsmöglichkeit, insbesondere für die, die zu Gleichgewichtsstörungen neigen und unter einer Gangunsicherheit sowie Sturzangst leiden. Die Stöcke stellen einen hohen Sicherheitsaspekt für die Bewegung im Freien dar. Durch das Training können Gleichgewicht, Haltungsstabilität und Ganggeschwindigkeit verbessert werden. Erkrankte, die gut laufen können, dürfen übrigens auch joggen.

Ich persönlich bin vier bis fünf Mal die Woche sportlich aktiv, aber ohne den Ehrgeiz der früheren Jahre. Als Rentner habe ich diese Zeit. Das sei optimal, sagt mein Neurologe. Ich jogge, benutze manchmal die Nordic Walking-Stöcke, gehe regelmäßig zum Reha-Sport, betreibe moderates Gerätetraining und setzte mich auf das Fahrrad. Es ist noch kein E-Bike.

Musik gehört ebenfalls zum Spektrum der nichtmedikamentösen Therapie. Ich singe in der Philip-Nicolai- Kantorei Unna, im zweiten Bass. Bei dieser Gelegenheit sei mir etwas Werbung für unseren Chor erlaubt (www.philipp-nicolai-kantorei.de). Im Posaunenchor der Unnaer Stadtkirchengemeinde spiele ich die Trompete im Alt. Nebenbei nehme ich wieder Trompetenunterricht. Hier kämpfe ich zusammen mit meinem Lehrer Frank Düppenbecker doch manchmal mit der gehemmten Gesichtsmuskulatur. Die Gesichtsmuskeln und der Mund- und Rachenraum sind wichtig für einen schön klingenden Trompetenton. Für Frank sind das ganz neue Erfahrungen.

Ottfried Fischer prominenter Betroffener

Der Umgang mit unheilbaren Erkrankungen ist sicherlich nicht einfach. Da stehen die Parkinson-Erkrankten nicht allein da. Manche wollen ein Leben lang alleine mit der Krankheit klarkommen. Andere öffnen sich, treten nach außen. Als positives Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit sei da der populäre deutsche Schauspieler und Kabarettist Ottfried Fischer genannt.

Anfang Februar 2008 gab Fischer seine Parkinson-Erkrankung der Öffentlichkeit bekannt. Er kommentierte dies mit der ihm eigenen Ironie: „Keine Angst, ich mache keine Schüttelreime!“ Tatsächlich zeigten sich bei ihm ganz andere Symptome als der Tremor. Sein Gesicht erstarrte, obendrein plagte ihn chronische Müdigkeit. Zunächst war Parkinson Fischers persönlicher Feind, wie er zugab. Doch inzwischen habe er sich mit der Krankheit arrangiert. Er könne Parkinson inzwischen sogar gute Seiten abgewinnen, so Fischer. Die Krankheit habe ihn veranlasst, sein Leben zu entschleunigen.

Ich selbst habe bis vor kurzem behauptet, mit der Krankheit meinen Frieden geschlossen zu haben. Da war ein klein wenig Selbstbetrug dabei. Ein übermächtiger Gegner wird sich auf keinen Friedensschluss einlas- sen. Man hat mir geraten, gegen die Krankheit zu kämpfen, zu versuchen, sie ein klein wenig aufzuhalten. Ich suche mir jetzt Verbündete für diesen Kampf, seien es Menschen, die ich mag, Medikamente, Sport o- der Musik. Und ich informiere mich über die Krankheit, so gut wie es irgend möglich ist.

Raus aus dem Schneckenhaus!

„Raus aus dem Schneckenhaus!“, dazu ruft das Parkinson Forum Unna e.V. alle von der Krankheit direkt Betroffenen und ihre Familienangehörigen auf. Mehr als 100 Mitglieder gehören mittlerweile dieser äußerst aktiven Unnaer Selbsthilfegruppe an. Sich austauschen, informieren und helfen – das ist der Weg, den man gemeinsam gehen will, weil ein aktiver und offensiver Umgang mit der Erkrankung ein Plus an Lebensqualität bedeutet.

Dr. Hans Wille, Vorsitzender und Mentor des Vereins: „Wir bieten Informationen über die Krankheit, über den Umgang mit ihr und über aktuelle Therapien und laden dazu regelmäßig Expertinnen und Experten nach Unna ein.“

Ergänzt wird das Fachprogramm des Vereins durch das Parkinson Café, durch den Parkinson Sport und durch andere Gemeinschaftsveranstaltungen. Persönliche Beratung gibt es zu festen Terminen im Gesundheitshaus Unna. Hier erwartet man jedoch vorab eine telefonische Terminvereinbarung über das Parkinson Telefon. Dr. Wille: „Jeder kann uns anrufen und zu uns kommen. Aber unsere Beratung ersetzt natürlich nicht den Besuch beim Arzt. Wir zeigen nur Wege auf und unterstützen dabei, sie zu gehen.“ Wenn man das Parkinson Telefon anruft, meldet sich auf der anderen Seite Marianne Ihne vom Parkinson Forum. Ihr Mann Lothar hat die Gruppe vor vielen Jahren als von der Krankheit Betroffener aufgebaut.

Weitere Details über den als gemeinnützig anerkannten Verein erfährt man im Internet unter www.parkinson-unna.de. Neben Marianne Ihne und Dr. Hans Wille arbeiten im Vorstand des Vereins Dr. Gerhard Kummer als stellvertretender Vorsitzender, Ingrid Wille als Kassenbeauftragte und der Verfasser dieses Artikels als Schriftführer mit.

Um Missverständnissen vorzubeugen, Dr. Hans Wille ist kein Mediziner, sondern studierter Physiker mit einer breit gefächerten Lebens- und Berufserfahrung. Er behauptet übrigens, an Parkinson könnten ganz viele Menschen erkranken, wenn sie nur alt genug würden. Ich denke: „Recht hat er.“

Ergänzungen aus Februar 2024

Mittlerweile habe ich die Erkenntnis gewonnen, dass es wichtig ist, sich als Parkinson-Patient selbst zu managen. In Bezug auf den Besuch beim Neurologen ist es wichtig, sich gut auf diesen Termin vorzubereiten. Mein Neurologe hat zwar immer 15 Minuten Zeit für mich, aber auch die gilt es zu nutzen. Kenntnisse über die Medikamente, die man nimmt, sind unbedingt erforderlich. Manchmal ist die Grenze zwischen einem Parkinsonsymptom und einer Nebenwirkung sehr verschwommen.

Marianne Ihne lebt leider nicht mehr, wenn man jetzt das Parkinson Telefon anruft, meldet sich Heidi Klatthaar. Auch die personelle Zusammensetzung des Vorstandes des Parkinson Forums hat sich geändert. Vom Gründungsvorstand bin ich übriggeblieben. Dr. Hans Wille ist jetzt unser Ehrenvorsitzender und beteiligt sich hin und wieder an der Vorstandsarbeit. Wer Näheres wissen will, besuche unsere Webseite. Die findet man schnell, wenn man bei Google Parkinson und Unna eingibt.

Auch meine sportlichen Aktivitäten haben verändert. Ausdauersport ging irgendwann nicht mehr, aber dann kam Tischtennis dazu. Hierzu gibt es Informatioinen an derer Stelle meiner Webseite.

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