Orgelkonzert „5 – 50 – 500“!
Ein Konzert unter diesem Titel anzukündigen erscheint etwas gewagt, aber den Zahlen kann man schnell einen Sinn geben: 5. Internationale Orgeltage Hamm – 50 Jahre Beckerath-Orgel in der Pauluskirche Hamm – 500 Jahre Reformation.
Rolf Schönstedt, von 1975 bis 1994 Pauluskantor in Hamm, gestaltete am gestrigen Sonntagabend dieses für mich außergewöhnliche Konzert.

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Von 1986 bis zum Ende seiner Tätigkeit in Hamm habe ich ihn als Organisten und Chorleiter (der Pauluskantorei) erleben dürfen. Heute bin ich ihm zum ersten Mal seit damals wieder begegnet. Und vieles war auf einmal wieder so wie früher, Erinnerungen kamen auf, gute Erinnerungen.
Ich berichte erst einmal über den Chorleiter Schönstedt. Er war ein strenger aber ruhiger Arbeiter. Anstrengend wurde es dann, wenn er sich, was nicht selten vorkam, viele Minuten um wenige Takte bemühte. Aber er ließ oft am Donnerstagabend sprichwörtlich „die Sonne aufgehen“, wenn es so klang wie er es haben wollte.
Mein erstes großes Konzert unter seiner Leitung führte uns in die Stadtkirche nach Unna, der ich mich heute auf verschiedenen Ebenen verbunden fühle. Im Mittelpunkt stand die Bachmotette „Lobet den Herren, alle Heiden“, ein für mich wahrhaft anspruchsvolles Werk. Und wenn ich dann noch sage, dass er ein ähnliches Tempoverständnis hatte wie Hannelore Höft, meine jetzige „Musikalische Leiterin“, wird der eine oder andere das erst recht verstehen. Ich erinnere mich noch daran, wie er mich damals als Neuling vor dem Konzert zur Seite nahm, um mit mir noch einmal den „Einstieg“ in das Werk durchzugehen. Am Ende des Konzertes stand Regers Nachtlied.
Das nächste große Werk unter Schönstedt war dann die Johannespassion von Bach. Es wurde lange und intensiv geprobt. Aufgeführt wurde sie in der Pauluskirche natürlich in der Passionszeit. Den Schlusschoral habe ich als etwas Einmaliges erlebt. Wir haben ihn in den Proben sicherlich hin und wieder gesungen, aber nie so wie an dem Abend des Konzertes. Es war der logische Schluss einer langen Probenphase, den man nie so hätte planen können wie er dann erklang.
Aber jetzt mache ich Schluss mit dem „Chorleiter“ Schönstedt und widme mich dem heutigen Konzert und dem Organisten.
Er führte selbst kurz in das Programm ein und ließ dabei erkennen, dass er ein Anhänger der Bach’schen Zahlensymbolik ist. Was lag also für ihn näher als im Programm des Abends die Zahl bzw. Zahlenreihe aufzugreifen, mit der das heutige Konzert angekündigt worden war: 5 – 50 – 500. Er begann mit Präludium und Fuge e-Moll BWV 555 von Bach.
Insgesamt standen 9 Orgelstücke auf dem Programm. In der Mitte zwischen der 1 und der 9 liegt die 5. Das fünfte Werk war ein kurzes Choralvorspiel zum Luther-Lied „Ein feste Burg ist unser Gott“ von Max Reger. Das war bei weitem kein Zufall, denn dem hat sich Schönstedt besonders verschrieben, den hat er besonders gemocht, geliebt … Es folgten vier weitere Vertonungen des gleichen Choralthemas. Die letzte, die fünfte, war die eindrucksvollste. Aber dazu später.
Ein erster Höhepunkt des Abends war der Programmpunkt 3, die „3. Sonate a-Moll op. 24“ von August Gottfried Ritter (1811 – 1885). Ritter war mir bis dahin unbekannt. Das ausgedruckte Programm gab folgende Erläuterung: … in einem Satz mit 5 Charakteren: Rasch, Rezitativ, Rasch, Entschlossen, Fuge…“. Ich habe nachgelesen. Ritter ist in Erfurt geboren, wie Schönstedt. Seine zahlreichen Arbeiten zur Geschichte der Orgelmusik ließen ihn zu einem der Begründer der Musikwissenschaft werden. Auch als Komponist schuf er wichtige Werke, vor allem auf dem Gebiet der Orgelmusik. Wikipedia weist seine 3. Sonate als Opus 23 aus. Was jetzt richtig ist, sei dahingestellt. Ich vertraue da Rolf Schönstedt, der die Zahl 24 in das gedruckte Programm schreiben ließ und so wie ich in kenne, wohl auch Korrektur las.
Die Sonate klang ausgesprochen „modern“, auf eine sehr hörenswerte Art, rhythmisch und (dis)harmonisch anspruchsvoll. Sie entstand um 1845, der Komponist war wohl seiner Zeit um einiges voraus. Ich meinte auch ein vertrautes Thema erkannt zu haben, ohne es benennen zu können.
Was die Zahl 3 in der christlich geprägten musikalischen Zahlensymbolik zu bedeuten hat, brauche ich nicht zu erklären. Nur eines, ich habe neulich noch von Hannelore Höft gelernt, dass der Dreiertakt in der Musikgeschichte der „erhabene, der göttliche“ ist und nicht der Zweiertakt. Wie sie es genau formuliert hat, weiß ich nicht mehr, aber sie kann es ja in einem Kommentar zu meinem Bericht vielleicht noch einmal zum Ausdruck bringen.
Das Werk am Ende war, wie nicht anders zu erwarten, ein Werk von Max Reger, die Choralfantasie op. 27. Es war lang, hatte aber keine Längen. Es war ruhig, es war bewegt. Es war laut, es war leise. Die Dynamik deckte die Bandbreite vom fünffachen Piano bis zum fünffachen Forte ab (in den Ohren des Schreibers dieser Zeilen). Luther hätte seine Freude gehabt (behauptet der Schreiber).
Damit genug zum Programm. Der letzte große Akkord verebbte, und es machte sich Stille breit in der Pauluskirche, eine lange spannende Stille, bis dann der Beifall den Bann brach.
Eine Zugabe war undenkbar und wurde vom Publikum auch nicht erwartet.
Noch ein paar Worte zum Organisten Schönstedt. Er war mir als jemand in Erinnerung, der sehr gut an der Orgel improvisieren konnte. Oft habe ich es erlebt, dass er zum Ausgang eines Gottesdienstes Choralthemen aufgriff und scheinbar „drauf los spielte“. Jetzt wurden mir andere Qualitäten wieder in Erinnerung gerufen. Etwas davon habe ich in einem anderen Zusammenhang schon genannt, sein Tempogefühl und seine Liebe zu Detail, die aber nichts Pedantisches an sich hat. Er bewies eine Technik, die trotz aller Ausgereiftheit hinter die Musikalität zurücktritt. Und ich habe noch nie jemanden einen Regerchoral so „dicht“ spielen gehört wie ihn. Mir ist klar, ich versuche – gerade mit dem Letzen – mal wieder etwas auszudrücken was nicht zu beschreiben ist.
Ich bin Christa Sendler, einer B-Musikerin damals auf einer C-Stelle in Pelkum, dankbar, dass sie mich mitgenommen hat in die Pauluskantorei (Zum Verständnis: Eine B-Musikerin ist ein Profi, eine C-Stelle gehört dem ambitionierten Amateur). Christa wirkt jetzt im Siegerland und saß auch im Publikum.
Das war unter Schönstedt – oder besser mit ihm – eine Entwicklung, die ich mir vorher hätte nie träumen lassen. Ich bin diesen Weg weitergegangen, bis nach Unna. Dazwischen liegen nur wenige Kilometer, aber viele Veränderungen. In Unna ist manches anders, die Orgel ist anders gestimmt, die Stadtkirche hat einen ganz langen Nachhall, und … Aber ich sage bewusst anders, nicht besser und nicht schlechter. Nur jetzt lassen gesundheits- und vielleicht auch altersbedingt die Kräfte ein wenig nach.
Die Musik hat mich übrigens auch zum Sport gebracht. Schönstedt sagte damals vor dem Konzert in Unna so ganz lapidar zum Chor: „Ihr müsst fasst zwei Stunden stehen, denkt mal an Eure Kondition.“ Da bin ich das Laufen angefangen. Am Ende stand eine Marathonzeit von 3:07:41 Std. Auch das war eine Entwicklung, die ich mir nie hätte träumen lassen.