Kleinkunst vom Feinsten – Die Barthel & Der Augustin!
Bin ich knef? – Leute, das ist kein Schreibfehler. Das war so gewollt, von Maila Barthel, Gesang, und Frank Augustin, Piano. So kündigten sie ihren Auftritt im Nicolaihaus in Unna an, der mittlerweile eine Woche zurückliegt. Ich kannte Maila und Frank bis dahin nur vom Hörensagen, nicht viel weniger fremd war mir die Knef. Gut, ich kannte ihren Namen, einige ihrer Songs, hatte ihre Stimme noch im Ohr. Das war es aber auch.
Gabi und Günter, Freunde aus Unna, hatten Maila und Frank nach Unna eingeladen. Gabi und Frank sind weitläufig verwandt, hatten wohl lange keinen Kontakt zueinander und haben sich irgendwann wiedergesehen (eine nicht ganz ungewöhnliche Situation bei Vettern und Cousinen). Gabi erzählte ganz begeistert von den Aktivitäten und Ambitionen der beiden und hatte auch die Idee des Auftrittes in Unna. Andrea und ich sollten sie und Günter bei der Organisation unterstützen. Am Ende tendierte die Notwendigkeit der Unterstützung jedoch gegen Null. Ich habe an dem Abend mitgeholfen, Getränke unters Volks zu bringen, und Andrea hatte die Eintrittskarten entworfen. Das war’s. Das Ganze wurde zum Selbstläufer, innerhalb weniger Tage waren alle Karten verkauft. Ich war total überraschst, als ich das hörte.
Ich hatte den Auftritt der beiden nie so wirklich auf dem Schirm. Dann war der Abend auf einmal da. Wie schon gesagt, die Knef war mir bis dahin fremd. Heute weiß ich zumindest, dass sie im innersten nicht anders war wie viele andere Menschen auch, unstet, zerrissen, nicht wirklich sesshaft, vielleicht nicht immer ehrlich, nicht zu sich selbst und gegenüber anderen, egoistisch. Sie war aber auch (scheinbar?) selbstbewusst, fleißig und ehrgeizig, hatte Charme und Talent.
Aus dieser Mischung hat sie etwas gemacht, mit allem Wenn und Aber, mit vielen Höhen und Tiefen. Sie sei dabei wie Sisyphus gewesen, meint eine Knef-Biografin. „Sisyphusarbeit“ bedeutet nichts Anderes als etwas nie zu Ende zu bringen und immer wieder von vorne anzufangen. Damit war ihre Karriere gemeint. Der Begriff steht in der heutigen Zeit auch für unnütze Arbeit, ist also eigne hartes Urteil.
Wir waren so gegen 19 Uhr im Nicolaihaus, um 19.30 Uhr war Beginn. Wer das Nicolaihaus kennt, weiß, dass es dort auftretenden Künstlern keinen rechten Rückzugsraum bietet. Dafür bietet es andere Dinge, Nähe zum Publikum, eine angenehme Atmosphäre, eine schöne Lage im Schatten der Stadtkirche. Maila und Frank waren schon anwesend, als wir ankamen. Aber für mich waren sie zunächst einmal Unbekannte, Teil des Publikums, in dem ich eh nur wenige bekannte Gesichter sah. Es dauerte einige Zeit, ehe mir klar dar, dass das beiden Künstler des Abends waren. Irgendwie stand ich auf der langen Leitung.
Dann begannen die beiden. Ich hatte einen einzelnen Platz ganz in der Letzen Reihe gefunden, Andrea saß woanders. Und es geschah etwas, was ich so nie erwartet hätte. Innerhalb weniger Minuten hatten Maila und Frank das Publikum für sich gewonnen, mich eingeschlossen. Es machte sich eine positive Spannung breit, gebannter Stille wechselte mit spontanem Applaus. Maila agierte gleichermaßen. als Sängerin und Schauspielerein, verkörperte gewollt und gekonnt die Knef, in Stimme, Mimik und Gestik, nach der Pause sogar in einem Hosenanzug aus dem Fundus der Knef.
Frank genoss es, einen Schimmel-Flügel (wenn auch nur einen kleinen) zur Verfügung zu haben. Ihm oblag aber nicht allein die Rolle des musikalischen Begleiters. Er war Mailias ebenbürtiger Partner und trat mit ihr in einen Dialog über das Leben der Knef ein (oder mit der Knef über ihr Leben?). Er fragte nach, er interpretierte. er merkte an, er hakte nach, wurde kritisch, äußerte sich ablehnend oder zustimmend … Sie stand ihm Rede und Antwort und drehte auch manchmal, wie man so sagt, „den Spieß um“.
Es war nie so, dass man das Gefühl hatte, beide spielten sich gegenseitig nur einen Ball zu, es klang nie gezwungen oder auswendig gelernt (obwohl es das irgendwie gewesen sein muss). Es war ein ganz natürliches Miteinander, es war Kleinkunst vom Feinsten oder Kammerspiel auf hohem Niveau. Und es war ein Ergebnis harter Arbeit.
Sie bauten, zumindest vor der Pause, in ihren Dialog hin und wieder gekonnt etwas ein, was man in der Musik Generalpause nennt. Eine Antwort kam nicht sofort, die Frage stand im Raum, klang nach. Es war klar, wie die Antwort ausfallen würde, aber sie kam mit Verzögerung und erhielt dadurch ein besonderes Gewicht, eine besondere Bedeutung. Generalpausen bedeuten für mich Spannung und Auflösung der Spannung. Hier war es nicht anders.
Nach der Pause gab es nach meiner Erinnerung nur noch eine einzige Generalpause. Aber eigentlich war es dann doch keine. Denn die Spannung löste sich nicht auf. Frank fragte Maila am Ende: „War die Knef glücklich?“ Darauf gab es so recht keine Antwort.
Viele Details habe ich schon wieder vergessen. Der Song „Ich brauche Tapetenwechsel“ klingt noch nach. Und dann gab es einen Song von dem Schiff mit den acht Segeln und den fünfzig Kanonen, der nicht nur mich in seinen Bann zog. Dem muss ich noch einmal hinterherrecherchieren.
In Erinnerung geblieben ist mir das Ella-Fitzgerald-Zitat: „Die Knef ist die beste Sängerin …ohne Stimme.“ Zwei andere Sprüche, die ich behalten habe, stammen wohl von der Knef selbst: „Ich jogge nicht, ich laufe Amok.“ Und: „Dass es gut war, weiß man meistens später, dass es schlecht war, weiß man meistens sofort.“ Den Satz lasse ich mal so im Raum stehen. Vielleicht war er ein Teil ihres Problems.
Wir haben dann nach der Veranstaltung noch kurz mit Maila, Gabi, Frank und Günter im Schalander zusammengesessen. Frank meinte bei dieser Gelegenheit zu mir, er betrachte sich eher als Klavierspieler und weniger als Pianist. Ich weiß, was er damit meint. Wenn man Musik „rein technisch“ sieht, mag er recht haben. Aber für mich hat er auf seine besondere Art und Weise den Schimmel-Flügel die Geschichte der Knef miterzählen lassen. Was will man mit Musik mehr erreichen?
„Bin ich knef?“ Maila war nicht knef. Sie hat mir aber das Leben der Knef nähergebracht, und die nicht ganz so neue Erkenntnis in Erinnerung gerufen, dass jeder von uns ein klein wenig den Sisyphus in sich trägt