Das Hilliard-Ensemble und das John-Cage-Orgel-Projekt

Ein musikalischer Mittwoch in Halberstadt!

Der gestrige Tag gibt mir Anlass, mich mal wieder mit einem längeren Bericht auf Facebook zu melden. Wir (dahinter verbergen sich Andrea und Jürgen) sind hier in Halberstadt, weil wir uns ein Konzert des Hilliard-Ensembles anhören wollten.

Die Hilliards habe ich Anfang dieses Jahrtausends, den genauen Zeitpunkt weiß ich nicht mehr, kennengelernt. Es sind vier Männer mit begnadeten Stimmen, die sich der Vokalmusik verschrieben haben. Wir (dahinter verbirgt sich die Philipp-Nicolas-Kantorei) hatten damals einen gemeinsamen Auftritt mit ihnen im Rahmen des Arvo-Pärt-Jahres, in der Stadtkirche Unna übrigens im Beisein des Komponisten. Es war grandios, erst recht heute in der Erinnerung. Jetzt wollen die Hilliards von der Weltbühne abtreten. Sie sind auf Abschiedstournee. Und darum wollte ich sie unbedingt noch einmal hören. Das war gestern.

Vorher waren wir ein paar Tage auf Usedom. Dort trafen wir Mommel, Andreas Freundin aus alten Zeiten. Mommel erzählte uns, als sie von unserem Besuch in Halberstadt erfuhr, von einem John-Cage-Orgel-Projekt, das hier stattfindet. Ich hatte schon mal davon gehört, es aber wieder aus dem Gedächtnis verloren. Von John Cage stammt die Komposition Orgel2/ASLSP aus dem Jahre 1985. Hinter ASLSP verbirgst sich die Tempoangabe „As slow as possible“. Seit dem Jahr 2001 wird die Komposition in der Sankt-Burchardi-Kirche in Halberstadt als langsamstes und längstandauerndes Orgelstück der Welt in einer Gesamtdauer von 639 Jahren aufgeführt.

Die Musikwelt hat die Tempoangabe natürlich intensiv diskutiert. Die Uraufführung dauerte 29 Minuten. Aber es gab auch Stimmen, die meinten, der Langsamkeit seien keine Grenzen gesetzt. Man könne das Stück so langsam und lange spielen, wie die Lebensdauer einer Orgel ist oder wie es Frieden und Kreativität in künftigen Genrationen gibt. In Halberstadt verständigte man sich auf eine Spieldauer von 639 Jahren. Im Jahre 1361 wurde hier im Dom die erste Großorgel der Welt gebaut. Sie hatte zum ersten Mal eine 12-tönige Klaviatur. Manche meinen, damit stünde die Wiege der modernen Musik in Halberstadt. Im Jahre 2000 wollte man mit dem Projekt beginnen, es verzögerte sich etwas, aber man beließ es bei der geplanten Spieldauer.

Heute erklingen in der Burchadikirche nach dem 13. Tonwechsel die Töne c‘, des‘, dis‘, ais‘ und e“. Der nächste Tonwechsel erfolgt im Jahre 2020. Man glaubt es kaum, je nach dem Standort des Zuhörers in der Kirche verändert sich jedoch der Akkord, und sei es nur im Kopf.

„Kann das Projekt zu Ende geführt werden?“, diese Frage stellte sich mir natürlich. Die Antwort gaben mir wenige Stunden später die Hilliards. Sie eröffneten ihr Konzert mit Stücken aus dem England des 13. Jahrhundert. Damit war mir klar, wenn es Menschen gab und gibt, die solche Musik so lange lebendig erhalten, hat auch das Cage-Projekt seine Chance.

John Cage (1988)

Im Konzertprogramm war Cage auch vertreten. „Litany for the whale“ war der Titel der Komposition. Die Hilliards hatten sich auf zwei Sänger reduziert, einen Tenor und einen Bariton. Sie nutzen die Möglichkeiten der riesigen Kirche, zogen langsam umher wie schwimmende Wale und kommunizierten miteinander durch Gesang, schlicht und einfach. Irgendwann kam der Zeitpunkt, an dem der Zuhörer nicht mehr wusste, woher der Gesang gerade kam.

Über die anderen Stücke will ich jetzt nicht mehr viel sagen. Arvo Pärt war dabei, außerdem zwei weitere lebende Komponisten, Katia Tchemberdij und der erst 28-jährige Maximilian Schnaus. Gerade bei den modernen Stücken merkte man den Hilliards die Freude an, mit der sie sangen.

Sie haben übrigens die gleiche Vorliebe wie ich, sie singen gerne in großen Kirchen, wohl der Atmosphäre und der Akustik wegen.

Die Hilliards hören auf, schade. Ich mag ihre Stimmen, kultiviert, klar und rein, ohne Pathos, zurückhaltend immer dem Gesamtklang zuliebe. Da kann sich mancher Chorsänger eine Scheibe von abschneiden.

Nur der Countertenor hatte ein klein wenig die Leichtigkeit verloren, die ich vor vielen Jahren an ihm erlebt habe. Das ist keine Kritik, das ist ihm zugestandenen. Vielleicht verbirgt sich dahinter auch ein Grund des Rücktritts, nicht nur bei ihm. Der Qualität von Musikern sind zeitliche und damit körperliche Grenzen gesetzt, die enger sind als die eines John-Cage-Projektes.

Nach oben scrollen