Kammerkonzert für Fagott, Trompete, Cembalo und Orgel!
Es war die wahrlich ungewöhnliche Besetzung, die mich heute in das Konzert in der Ev. Stadtkirche zu Unna lockte. Dass ich der Trompete zugetan bin, ist kein Geheimnis. Ich höre sie immer wieder gerne. Und selbst versuche ich mich auch daran, mit mäßigem Erfolg, aber mit viel Freude. Die Orgel begegnet mir regelmäßig, mal im Gottesdienst, mal im Konzert. Das Cembalo macht sich da schon rarer. Dabei mag ich den unaufdringlichen Klang dieses Instrumentes. Das Fagott kenne ich als Bassinstrument aus dem Orchester. Gelegentlich begleitet es uns – und damit meine ich konkret den zweiten Bass der Philipp-Nicolai-Kantorei bei gemeinsamen Auftritten mit dem Höchberger Kammerorchester. Da ist der tiefe Ton des Fagotts für uns Sänger schon mal eine gute Orientierung.
Aber jetzt will ich erst einmal einen Schnitt machen und die Rahmenbedingungen des Konzertes beschreiben. Das Cembalo stand vor dem Altar, die Orgel wie immer am Rand des Altarpodestes auf der Seite zum Gemeindehaus hin. Die Bestuhlung für die Zuschauer reihte sich nur wenige Meter entfernt um das Cembalo und die Notenständer für die Trompete und das Fagott. Es war eine Konzertsituation, die ich immer mehr mag. Man ist ganz nahe bei den Aktiven, und ich bin ganz schnell mittendrin in der Musik.
Das Programm wurde mit einer Sonate von Carl Philipp Emanuel Bach eröffnet. Hannelore Höft, Cembalo, Sebastian Höft, Piccolo-Trompete, und Jörg Wehner, Fagott, musizierten gemeinsam. Am Ende der drei Sätze gab es noch keinen Szenenapplaus. Das Publikum traute sich noch nicht zu klatschen, getreu der Unnaer Tradition, nach der man Beifall erst am Ende eines Konzertes spendet. Zu dieser Tradition stehe ich auch persönlich, auch wenn Jörg Wehner, Fagott, zumindest für den heutigern Tag, zurecht zunichtemachte. Er spielte die Fantasie Nr. 2 von Georg Philipp Telemann – für Flöte. An deren Ende wurde er mit Beifall belohnt. Später folgte die Fantasie Nr. 3, ebenfalls für Flöte.
Beide Solostücke möchte ich gerne gemeinsam betrachten. Ich kannte bis dahin das Fagott ausschließlich als Orchesterinstrument. Vor mehr als vierzig Jahren habe ich zwar mal ein Konzert für Solofagott und Orchester gehört. Aber das zählt nicht, denn damals hatte ich noch nicht den Zugang zur Musik, den ich heute habe. Irgendwelche Begegnungen mit einem Solofagott im Radio oder im Fernsehen mag es zwischendurch gegeben haben, sind mir aber nicht in Erinnerung geblieben.
Ich will jetzt bewusst auf das Wort „Solo“ verzichten, denn es klingt mir fast zu sachlich. Jörg Wehner füllte allein (das Wort hätte ich jetzt gerne fett geschrieben und unterstrichen) mit seinem Instrument den Kirchenraum, hin bis in den letzten Winkel. Von der Trompete und der Orgel her bin ich das gewohnt, aber das allein zu hörende Fagott war ein neues Hörerlebnis. In der ersten Fantasie (es war die Nr. 2) schien es manchmal so, als spiele Jörg Wehner mit sich im Duett. In der zweiten Fantasie (es war die Nr. 3) hörte ich Anklänge von Zweistimmigkeit. In manchen Passagen näherte sich der Klang des Fagotts für kurze Zeit dem Klang eines Hornes, vielleicht sogar eines Alphorns in Altlage, wenn es so etwas geben sollte. Und hin und wieder übernahm das Fagott die Rolle eines speziellen Orgelregisters.
An Jörg Wehner fiel mir auf, dass er sein Spiel mit harmonischen Körperbewegungen unterstützte. Ich komme darauf zu sprechen, weil mein Trompetenlehrer Frank Düppenbecker und ich die Überzeugung gewonnen haben, dass auch mir ein leichtes Mitgehen des Körpers zu mehr Lockerheit im Spiel verhilft.
Selten war ich heute der kleinen Orgel als Zuhörer so nahe. Im Chor und mittlerweile im Posaunenchor stehe oder sitze ich oft in ihrer Nähe, aber da bin ich nicht nur Zuhörer. Sie ist ein wunderbares Instrument, der großen Orgel auf der Empore ebenbürtig. Erbaut wurde sie von Detlef Kleuker und stand schon vor der 1973 erbauten großen Rentsch-Orgel in der Kirche. Zwischendurch muss sie wohl mal an eine andere Kirche verliehen worden sein, aber da fehlen mir die Detailkenntnisse. Ich dachte kurz über die besondere Begabung eines Menschen nach, Harmonie zwischen dem Instrument und dem Raum herzustellen. Kleuker hatte diese Begabung, aber damit stand er als Orgelbauer sicherlich nicht allein da.
Jetzt verstehe ich auch den regelmäßigen Ordnungsruf von Hannelore Höft, wenn wir mit dem Chor in der Kirche sind: „Macht die Tür schnell wieder zu, meine kleine Orgel ist empfindlich.“ Gemeint ist dann die Seitentür der Kirche zum Gemeindehaus hin.
Wenn ich jetzt sage, Hannelore Höft beherrschte die Orgel, ist das wieder viel zu technisch und zu sachlich. Ich denke, sie weiß aus langer Erfahrung, was die Orgel zu leisten bereit ist, wenn sie sie spielt Das gilt auch für das Cembalo, das sie souverän und meisterlich spielte.
Hannelore Höft macht Musik, so wie ich es mag. Ich versuche mal zu beschreiben, wie ich das erlebe. Als musikalischem Laie ist ein Notenblatt erst einmal etwas Abstraktes für mich. Wenn ich darauf schaue, weiß ich ganz selten, was auf mich zukommt. Wenn dann aber das Stück steht und aufführungsreif ist, habe ich das Gefühl, nur so geht es und nicht anders. Ihre Interpretation von Musik ist für mich meistens „alternativlos“, auch wenn ich dieses Wort in anderen Zusammenhängen nicht mag. Nur fällt es mir in meinem Alter und in meinem Gesundheitszustand nicht mehr ganz so leicht, ihr so schnell zu folgen wie sie es gerne hätte. Das macht manche Übungsstunde für mich anstrengend.
Sebastian Höft spielte heute Piccolo-Trompete. Im Augenblick stelle ich mir die Frage, ob es immer das gleiche Instrument war. Denn irgendwann bemerkte ich ein viertes Ventil, das mir vorher nicht aufgefallen war. Ein viertes Ventil braucht man bei einem Instrument mit sehr hoher Stimmung, um damit auch noch tiefere Töne spielen zu können.
Virtuos, tonsicher, ansatzstark sind ein paar Attribute, die ich ihm zuordne. Er weiß auch – wie Muttern – was er musikalisch will und kann das auch als Instrumentalist umsetzen und als Chorleiter deutlich machen.
Heute ging mir bei der nahen Sicht auf ihn etwas Anderes durch den Kopf. Ich selbst spiele noch mit viel Druck, manchmal mit zu wenig Lippenspannung (bedingt durch Morbus Parkinson) und manchmal mit zu wenig Luft. Bei ihm sah ich (und hörte es auch), dass er die Luft einfach nur fließen lässt. So soll es sein, sagt auch mein Lehrer Frank Düppenbecker.
Ein Trompeter darf nicht angestrengt wirken. Sebastian wirkte locker.
Es war ein schönes Konzert in angenehmer Atmosphäre. Das sah das übrige Publikum genauso. Einige waren der Meinung, es hätten ein paar Zuhörer mehr sein können. Ich habe mich entschieden, mich über die Menschen zu freuen, die da sind, und nicht über die zu ärgern, die nicht gekommen sind.
Und etwas ganz Anderes noch zum Schluss. Der Musikkritiker, dessen Meinung wir wohl morgen in der Zeitung lesen werden, saß dicht unter der Kanzel in der letzten Stuhlreihe. Da ich mich schon in der Kirche dazu entschieden hatte, auf Facebook über das Konzert zu berichten, ging es mir durch den Kopf, wie schwer es der Mann hat. Er darf bestimmt eine vorgegebene Zahl von Zeilen nicht überschreiten. Ich kann hier schreiben, was die Tastatur hergibt. Gut, er wird mehr Leser haben als ich.