„… von Ewigkeit zu Ewigkeit“

Zu viert: Sopran, Blockflöte, Viola da Gamba, Truhenorgel

Ich bin seit dem 14. Juli 2019 wieder zur Reha in Bad Doberan. Es gibt vielerlei Gründe, warum ich gerade nach Bad Doberan fahre. Man kann sie wie folgt zusammenfassen: „Es passt einfach. Hier fühle ich mich wohl. Es kann Unna nicht ersetzen, aber es stärkt mich.“

Zu Bad Doberan gehört auch das Münster und die freitäglichen Sommerkonzerte. Das Münster ist eine große eindrucksvolle Kirche aus dem 13. Jahrhundert. Backsteingotik pur!!! Erhaben!!! Eindrucksvoll!!! Einladend!!!

Das Doberaner Münster war bis zur Mitte des 16.Jahrhunderts die Kirche des Zisterzienser-Klosters Doberan. Es gehört zu den wichtigsten hochgotischen Backsteinbauten im Ostseeraum. Andere sagen, es ist eine Perle der Backsteingotik.

Gestern war wieder Sommerkonzert und natürlich wollte ich wieder hin. Angekündigt war das Ensemble La Villanella. La Villanella tritt in verschiedensten Zusammensetzungen auf, heute waren es vier Frauen: Sopran, Blockflöte, Viola da Gamba, Orgel.

„… von Ewigkeit zu Ewigkeit“ – Psalmvertonungen aus dem frühen 17. Jahrhundert, so stand es auf dem Programm. Man bedenke, 17. Jahrhundert bedeutet, dass die Jahreszahlen mit einer 16 beginnen. Musik aus dieser Zeit mag ich besonders. Und wenn ich sie dann noch live hören kann, ist sie besonders schön. Auf dem Programm standen 15 Werke teils mir unbekannter Komponisten.

Noch als ich das Münster betrat hatte ich nicht vor, über dieses Konzert zu berichten. Es fällt mir nicht mehr leicht zu schreiben. Ich bin nicht mehr so unbeschwert wie früher. In den letzten zwei Jahren sind viele Dinge in meinem Körper geschehen, die mich nicht unbedingt froh machen. Aber Entscheidungen sollte man dann erst treffen, wenn es wirklich soweit ist. Und deshalb sitze ich jetzt da und schreibe.

Eins sei vorab noch angemerkt. Der schöne Innenraum des Münsters und die tolle Akustik sind das eine, die Bänke sind das andere. Auf ihnen hält man es keine Ewigkeit aus, es sei denn …

Die Akustik beschreibe ich so. Wer hier musiziert, mit welcher Stimme oder mit welchem Instrument auch immer, muss sich darüber im Klaren sein, dass sie nichts verbirgt oder beschönigt. Aber sie trägt die Töne und sie macht die Musik transparent. Man hört alles, wirklich alles, im Guten wie im Schlechten.

Eröffnet wurde das Konzert wie immer durch einen Vertreter der Evangelisch-lutherischen. Kirchengemeinde Bad Doberan. Ich habe ihn schon oft gehört, leider kenne ich seinen Namen nicht, denn er hat immer darauf verzichtet, sich vorzustellen. Aber ich höre ihm gerne zu. Bisher hat er immer versucht, über Begrifflichkeiten aus dem Titel des Konzertes die Menschen zu bewegen ein klein wenig innezuhalten. Er schafft das. Das ist seine Begabung. Er spannte in wenigen Sätzen einen großen Bogen über den Begriff Ewigkeit. Dass er dabei den sträflichen Umgang in unserer Gesellschaft mit der Zeit ansprach, war nahezu zwangsläufig. Aber er versuchte auch, den Begriff Ewigkeit zu definieren. Eine Definition habe ich mir gemerkt: „Die Ewigkeit ist die Abwesenheit von Zeit.“

Wie recht er hat, zeigte dann das Konzert. Die Zeit auf der harten Kirchenbank war letztendlich unbedeutend. Die dargebotene Musik war zeitlos schön.

Kaum waren die ersten Töne bzw. Akkorde verklungen, war mir klar, das wird ein besonderes Konzert. Ich mache es nicht nur am Programm, sondern auch an den handelnden Personen fest. Der Sopran: Es war eine schlanke Stimme, in ihrer Artikulation klar und deutlich, mit einer ganz sauberen Intonation, ungefärbt (mit einer Ausnahme, auf die ich später eingehe), geradeheraus gesungen, manchmal erzählend. So soll es sein, zumindest für mich. Schlank bedeutete aber nicht, dass die Stimme von den Instrumenten überlagert wurde. Ich rufe in Erinnerung: Da waren noch die Orgel, die Blockflöten in unterschiedlichen Größen und Stimmungen und die Viola da Gamba.

Bis auf eine Ausnahme kam eine Truhenorgel zum Einsatz. Das ist ein kleines Instrument und somit gut im Kirchenraum zu bewegen, mit nur einem Manual (einer Tastenreihe) und wenigen Registern. Ein Register ist, wie ich es kürzlich gelernt habe, eine Pfeifenreihe gleicher Klangfarbe. Auf einer Orgel übernehmen die verschiedenen Register (auf einer großen Orgel viele, auf einer Truhenorgel nur wenige) die Aufgaben der verschiedenen Instrumentengruppen eines Orchesters.

Die Truhenorgel des Bad Doberaner Münsters ist ein sehr zurückhaltendes Instrument, bestens geeignet für den Einsatz in einem Ensemble. Die Blockflöten und Viola da Gamba übernahmen in diesem Konzert oft die Rolle zweier zusätzlicher Register. In ihrer Virtuosität waren alle drei Instrumentalistinnen gleichermaßen gut. Das Zusammenspiel war perfekt, jeder Tempowechsel ein Genuss. Und sie ließen dem Sopran immer den Vorrang. Gelegentlich stimmte man nach,

Die Organistin bekam die Gelegenheit, ihr Können, sich auf einer zweiten kleinen Orgel als Solistin vorzustellen. Diese kleine Orgel ist mir bei den vielen Besuchen im Münster bisher nie aufgefallen. Entweder lag es daran, dass sie im verschlossenen Zustand nicht unbedingt auf sich aufmerksam machte, oder man hat sie für dieses Konzert eigens aus einer Ecke des Münsters hervorgeholt. Sie hat wie die Truhenorgel ein Manual, gibt aber den Blick auf die Orgelpfeifen frei.

Auch die Blockflöte und die Viola da Gamba präsentierten sich mit je einem Werk solistisch, jeweils begleitet durch die Truhenorgel. Und das war gut so. Virtuos!!! Hinreißend!!! Aber das Musikalische stand im Vordergrund, nicht die Spieltechnik.

Das Publikum, ich schätzte es auf 150 Köpfe, altersmäßig gemischt, war ähnlich wie ich von der Musik gefangen. Es verzichtete darauf, nach jedem Werk zu applaudieren. Aber es gab eine Ausnahme, nicht ohne Grund. Nach dem Laudate Dominum von Claudio Monteverdi, gab es Beifall für die Sopranistin, verdientermaßen. Ich hatte davon geschrieben, dass sie ungefärbt und ganz natürlich sang. Hier gab es eine Ausnahme in der Färbung, ein leichtes Tremolo in bestimmten Passagen, eher in der tiefen Lage, einem Zittern gleich. Ich kann kein Latein und konnte dem Text nicht folgen, aber das wird seinen Grund gehabt haben.

Es war das achte von 15 Stücken, die Zugabe einmal ausgenommen, stand also im Mittelpunkt des Programms. Manchmal glaube ich doch an die Zahlensymbolik Johann Sebastian Bachs.

Das Programm endete mit Jacob van Eycks „Danksaget nu und lobt den Herrn“. Es war ein Wechsel zwischen einer gesungenen Choralmelodie und verschiedenen Variationen dieser Melodie, gespielt von den Instrumentalisten. Letzteres war der Improvisation nahe, Die Melodie kannte ich, Jacob van Eyck nicht. Die Melodie findet sich im evangelischen Gesangbuch mehrmals wieder, bei der Nummer 245 „Preis, Lob und Dank sei Gott, dem Herren“ und weiter bei den Nummern 250, 279, 286 und 294.

Zuzuschreiben ist die Melodie aber nicht dem Holländer van Eyck, sondern dem Franzosen Guillaume Franc, der sie 1543 komponierte.

Die letzte Strophe endete mit den Worten „… von Ewigkeit zu Ewigkeit“. Damit schloss sich der Kreis. Die Ewigkeit hatte aber nur scheinbar ein Ende, denn die Musik klang nach.

Der andauernde Applaus ließ es dann jedoch nicht mit den 15 Stücken bewenden. Es folgte als Dank des Ensembles an die Zuhörerschaft, so formulierte es die Organistin, der Luther-Choral „Verleih uns Frieden ewiglich …“.

Ich erinnerte mich bei der Gelegenheit wieder einmal an Bernadette. Ich habe sie über Silke L. kennengelernt. Wir sind uns vielleicht drei oder vier Mal begegnet. Sie, die mittlerweile verstorben ist, sagte einmal: „Musik tröstet.“ Dieser Satz begleitet mich, bis in alle Ewigkeit.

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