Christian Finger und Band im Kunstverein!
So oder so ähnlich formulierte es der Schlagzeuger und Komponist Christan Finger am Freitagabend dieser Woche in seinem Konzert. Zusammen mit Hans Wanning (Piano), Alex Morsey (Bass) und Jens Böckamp (Saxofon) trat der Jazzmusiker in den Räumen des Kunstvereins Unna auf. Sein zweites Statement, das ich mir gemerkt habe, lautete: Das Publikum ist oft für uns das fünfte Bandmitglied.
Aber bevor ich näher auf dieses Konzert eingehe, sei mir ein Rückblick auf den Abend zuvor im Schalander erlaubt. „Blues und Rock vom feinsten,“ das war mein spontaner Kurzkommentar auf Facebook. Jetzt will ich etwas weiter ausholen. Wolfgang Flammersfeld hatte wieder einmal eine Schar guter Musiker motivieret, sich im Schalander zu einer Session zusammenzufinden. Altbekannte Gesichter waren dabei, aber auch junge neue. Wechselnde Besetzungen machen eine solche Session aus. Nur eine Konstante gab es an dem Abend, das war ein junger Mann am Schlagzeug. Er war bei jeder Formation dabei. Mit seinem unaufdringlichen Spiel sorgte er dafür, dass die Musik „nach vorne ging“, ein imaginäres Ziel vor Augen, das letztendlich niemand kennt, das es aber zu erreichen gilt.
Ganz vergessen will ich die anderen Musiker dabei nicht. Musik ist in der Regel eine Gemeinschaftsleistung, und die stimmte. Andrea hat mich zwischendurch darauf aufmerksam gemacht, dass auch der junge Musiker am E-Piano die Bühne nie verlassen hat. Den hatte ich leider nicht so gut im Blick.
Das ruhige Grundtempo des Blues nahm das Tempo des Tages – es war ein durchaus aufregender und anstrengender – aus meinem Körper. Mein rechter Fuß folgte dem Blues so: 1 – – – 2 – – – 3 – – – 4 – – -, bis 8 – – -, und dann begann alles wieder von vorne. Ich schwinge beim Blues irgendwie immer ruhig mit und stehe damit offensichtlich nicht alleine da. Der lebhafte Rock ließ den Fuß dann ganz anders agieren, 1,2,3,4, 1,2,3,4, 1,2,3,4 … Beides hatte seinen Platz an diesem Abend.
Noch ein Wort in Richtung Lindenbrauerei, Regina Ranft, Wolfgang Flammersfeld: Warum nicht öfter so etwas? Früher gab es diese Session alle acht Wochen. Ich bin keiner derjenigen, der sagt, früher sei alles besser gewesen. ABER DAS WAR BESSER. Ihr habt ja gesehen, die Bude war voll. Was wollt ihr denn mehr? Na, ich denke, an Flammersfeld liegt es nicht.
Am Donnerstagabend wusste ich noch nicht, dass ich am nächsten Tag Christian Finger und Band hören würde. Denn der Freitagabend gehört dem Chor, der Philipp-Nicolai-Kantorei Unna. Wir proben für das Weihnachtskonzert bei Kerzenschein am 10. Dezember in der Ev. Stadtkirche (Beginn 18 Uhr). Unsere „Chefin“ Hannelore Höft hat wieder ein Programm zusammengestellt, das dem Weihnachten, so wie ich es mag, entspricht, ruhig und besinnlich, schlicht. Schlicht heißt nicht einfach. Schlichtheit setzt Leichtigkeit voraus. Leichtigkeit ist aber nur ganz schwer zu erreichen. Nein, das ist alles Quatsch. Leichtigkeit ist nicht das Ergebnis einer Bemühung, Leichtigkeit muss sich von allein einstellen, ist vielleicht das Ergebnis eines Entwicklungsprozesses.
Ich wusste von dem Finger-Konzert. Als ich dann morgens in der Zeitung las, dass es erst um 20.30 Uhr beginnen würde und unsere Probe normalerwiese gegen 21.30 Uhr endet, dachte ich mir, da bekommst du noch ein gutes Stück von mit. Andrea war schnell motiviert, von Anfang an dabei zu sein und gab diese Motivation an ihre Freundin Petra weiter.
Ich kam dann zur Pause im Kunstverein an. Ein Glas Weißwein und ein Stück Zwiebelkuchen waren eine gute Einstimmung auf das dann folgende. Andrea und Petra hatten mir einen Platz freigehalten. Es gab noch eine ganze Reihe freier Plätze. Aber da das die Band offensichtlich nicht sonderlich beeindruckte, ließ ich sie auch unbeachtet.
Nach den ersten Klängen war mir schnell klar, dass die Räume des Kunstvereins ein idealer Rahmen für Konzerte dieser Art sind. Die Akustik war ausgesprochen gut. Die Schlichtheit der Räume kam der Musik zugute. Es gab keinerlei räumliche Barriere zwischen Publikum und Musikern. Andrea würde es so sagen: Man fühlte sich wie in einem Wohnzimmer.
Noch ein paar Worte zu Christian Finger. Er wurde 1964 in Unna geboren, lebt aber seit Anfang dieses Jahrtausends in New York und fühlt sich in der dortigen Jazzszene sicherlich sehr wohl. Irgendwie habe ich das Gefühl, er denkt nicht mehr in deutscher Sprache, sondern in der amerikanischen. Aber immer wieder taucht er in Europa und auch in Unna auf. Und er bringt, wie an diesem Abend, immer wieder gute Musiker mit.
Von den Stücken, die das Quartett spielte, will ich nur eines herausgreifen. Es war das zweite nach der Pause. Es habe noch keinen Namen, und es sei von den Bildern der aktuellen Ausstellung des Kunstvereins beeinflusst, meinte Christian Finger. Der Titel der Ausstellung lautet „Bild – KlangKlang –Bild“. Die Bilder, die ich gesehen habe, wirkten minimalistich und schlicht (ich sage nur, siehe oben).
Übrigens, mein Lieblingsbild stammt von Josef Albers. Es ist kleinformatig und zeigt Quadrate in verschiedenen Grüntönen und Größen. Die Quadrate liegen symmetrisch aufeinander, bilden einen zweidimensionalen Stapel. Je kleiner die Quadrate werden, umso mehr verlassen sie das Zentrum des Bildes. Es ist eines der Bilder, von denen viele Leute sagen, das kann ja jeder. Von wegen, wie man in Westfalen so sagt. Ich habe es jahrelang im Unnaer Kreishaus – dort habe ich gearbeitet – bewundern können.
Auch Christian Fingers Komposition war minimalistisch, zumindest zu Beginn und zum Ende hin. Und jetzt komme ich wieder in die Situation, in der ich sage: Ich bin kein Musikkritiker. Gott sei Dank. Es hat mir einfach nur gefallen.
Christian Finger spielte anders Schlagzeug als der junge Mann am Abend zuvor. Er nutzte jedes Bauteil für andere Klänge. Aber ich denke, jeder der beiden Schlagzeuger hätte an dem Spiel des andern gefallen gehabt.
Einen Musiker will ich noch herausgreifen. Es war der Mann am E-Piano. Dabei geht es mir gar nicht so sehr um sein Spiel. Das war sehr gut, genauso wie das Spiel des Bassisten und des Saxofonisten. Nein, es war seine Körperhaltung und seine Mimik. Er schien in die Musik abzutauchen. Aber nicht nur das. Ich sah Glückseligkeit in seinen Augen und manchmal irgendwie auch Erstaunen über das, was da passierte.
„Dignity and Passion“, übersetzt Würde und Leidenschaft – unter diesem Titel war das Konzert in Unna angekündigt worden. Musik und Leidenschaft, das ist naheliegend, einleuchtend und nachvollziehbar. Musik und Würde, darüber musste ich ein wenig nachdenken. Ich selbst mag Musik unterschiedlichster Art, Hauptsache live und gut gemacht. Wichtig ist, dass sie mich erreicht. Und sie erreicht mich dann, das ist mir jetzt klar, wenn man ihr Würde angedeihen lässt. Das bedeutet, ihr eine Seele zu geben, sie ernst zu nehmen (wobei für mich U-Musik auch E-Musik ist, ich mag diese Differenzierung überhaupt nicht), sie nicht zu missbrauchen, für was auch immer, sich als Musiker so gut wie es geht auf sie vorzubereiten und sich als Person zurückzunehmen. Wenn man dabei das Publikum als weiteres Bandmitglied betrachtet, wie die Christan Finger Band, ist vieles davon schon gegeben.
„Unsere Zeit braucht Livemusik, hat sie nötiger denn je.“ Ich bin fest davon überzeugt, dass das richtig ist.
Ein herzliches Dankeschön dem Kunstverein Unna. Dort wird man denken: „Unsere Zeit braucht Kunst, hat sie nötiger denn je.“